Immobilien

Günstiges Wohnen als Zeichen des wirtschaftlichen Stillstands

Während in Zürich verzweifelte Wohnungssuchende Schlange stehen, um überhaupt eine Bewerbung abgeben zu können, zeigt sich in St.Gallen ein völlig anderes Bild: Günstige Mieten sind die Regel, nicht die Ausnahme. Doch was auf den ersten Blick wie ein Paradies für Mieter erscheint, ist Ausdruck einer wirtschaftlichen Stagnation.
Günstiges Wohnen als Zeichen des wirtschaftlichen Stillstands
Während andere Regionen wachsen und sich weiterentwickeln, bleibt St.Gallen in einem Zustand des Stillstands.

Während andere Schweizer Städte mit Wohnungsknappheit kämpfen, bleibt der St.Galler Wohnungsmarkt entspannt: Besichtigungen verlaufen ohne Massenaufläufe, und selbst gut gelegene Wohnungen in der Altstadt oder im Talboden stehen oft ohne starken Konkurrenzdruck zur Verfügung, analysiert die «NZZ am Sonntag».

Laut den neuesten Zahlen von Wüest Partner sind die Mietpreise in St.Gallen im Vergleich zu den zehn grössten Schweizer Städten am niedrigsten – sogar günstiger als in Biel, das lange als Inbegriff des preiswerten Wohnens galt.

Eine 100-Quadratmeter-Wohnung mit vier Zimmern kostet hier im Durchschnitt 1650 Franken netto – weniger als die Hälfte dessen, was in Zürich verlangt wird.

Doch dieser Preisvorteil hat eine Kehrseite: Die wirtschaftliche Entwicklung St.Gallens bleibt hinter der anderer Städte zurück.
Robert Weinert, Ökonom bei Wüest Partner, sieht in der NZZ die geringe Schaffung neuer Arbeitsplätze als Hauptgrund für das stagnierende Mietpreisniveau. Im Vergleich zu Städten wie Winterthur oder Biel, wo die Wirtschaft floriert, wachse St.Gallen kaum. Ein weiteres Problem sei die geringe Investitionstätigkeit im Wohnungsbau – viele Gebäude sind veraltet, und neue Bauprojekte werden nur zögerlich realisiert.

Mieten für eine 4-Zimmer-Wohnung, mit 100 m² Fläche, 4. Quartal 2024 (Angebotsmieten, ohne Nebenkosten) Bild: Wüest Partner

Simon Hurst, Immobilienexperte bei Iazi, weist im gleichen Artikel darauf hin, dass St.Gallen seit dem Niedergang der Textilindustrie keine neuen wirtschaftlichen Zugpferde hervorgebracht habe.

Während der Kanton St.Gallen durchaus bedeutende Unternehmen und Industrien beheimatet, sind diese eher im Rheintal oder in der Region Wil angesiedelt – nicht jedoch in der Stadt selbst. Und die HSG ziehe zwar viele Studenten an, doch diese verlassen die Stadt nach ihrem Abschluss meist in Richtung wirtschaftlich dynamischer Zentren.

Während die meisten grossen Städte der Schweiz ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum verzeichnen, bleibt die Einwohnerzahl St.Gallens weitgehend konstant.
Nur Lugano weist eine ähnlich geringe Wachstumsrate auf. Jahrzehntelang stagnierte die Bevölkerung bei rund 75'000 Einwohnern, erst 2024 gab es einen leichten Anstieg.

Walter Locher, Präsident des Hauseigentümerverbands St.Gallen, sieht in der NZZ am Sonntag die schleppende Bautätigkeit und die langwierigen Bewilligungsverfahren als weitere Hemmnisse für die Stadtentwicklung.

Zudem schrecke das hohe Steuerniveau viele Gutverdiener ab, die lieber in nahegelegene Gemeinden wie Mörschwil oder Teufen ziehen, wo die Steuerbelastung deutlich geringer ist.
St.Gallen könnte als bezahlbare Wohnstadt eine Alternative zu den überteuerten Märkten in Zürich oder Genf sein. Doch fehlende wirtschaftliche Dynamik, hohe Steuern und schleppende Investitionen verhinderten, dass die Stadt ihr volles Potenzial ausschöpft, bilanziert die NZZ.

Während andere Regionen wachsen und sich weiterentwickeln, bleibt St.Gallen in einem Zustand des Stillstands – mit niedrigen Mieten als einzigem Vorteil, der «langfristig jedoch mehr Problem als Lösung sein könnte».