Stadtverband

Die Erfolgsgeschichte weiterschreiben

Der Bau der Stadtautobahn war für die Stadt St. Gallen ein verkehrstechnischer Quantensprung. Doch heute drängen sich fast doppelt so viele Fahrzeuge auf die Stadtautobahn als bei ihrer Eröffnung – ohne Massnahmen kollabiert das System.
Die Erfolgsgeschichte weiterschreiben
Lachen-Quartier, Blick auf die Zürcherstrasse in Richtung Stahl: Oben eine Situation aus dem Jahr 1973, unten eine aktuelle Ansicht. Der innerstädtische Verkehr hat stark zugenommen, weil die Stadtautobahn ihre Kapazitätsgrenze erreicht hat.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) prognostiziert, dass die Autobahn A1 zwischen St. Gallen Winkeln und St. Gallen Neudorf schon 2030 «erheblich überlastet» sein wird. Die Folgen kann man sich ausmalen: Schon heute kommt es immer öfter schon aufgrund geringer Störungen zu einem Überlaufen der Stadtautobahn. Der Verkehr ergiesst sich auf das städtische Strassennetz, auf der West-Ost-Achse bildet sich ein Stau, dadurch wird auch das übrige städtische Strassennetz blockiert. Das ist nicht nur ein Ärgernis für Autofahrer, auch die Busse des öffentlichen Verkehrs und die Einsatzfahrzeuge von Polizei, Sanität und Feuerwehr sind auf denselben Strassen unterwegs.

Das Bild erinnert an die Situation in den siebziger und achtziger Jahren: 1970 führte die Autobahn A1 von Winterthur kommend bis nach Winkeln, zwei Jahre später wurde der Abschnitt Neudorf Richtung Rheineck freigegeben. Dazwischen klaffte bis 1987 eine über neun Kilometer lange Lücke, der Verkehr zwängte sich über das städtische Strassennetz. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung an der Rosenbergstrasse oder der St. Jakob-Strasse zog damals innert weniger Jahre weg.
Über die Linienführung der Autobahn in oder um die Stadt St. Gallen wurde lange gerungen, mehr als ein Dutzend Varianten wurden gezeichnet. Schliesslich wurde eine Linienführung gewählt, die viele sensible Bereiche umfährt oder mit den Tunnels Rosenberg und Stephanshorn unterquert. Den Wert dieser Lösung erkennt man dort, wo sie nicht realisiert wurde, das Quartier St. Fiden wird von der Autobahntrasse in zwei Teile getrennt.

Vier Anschlüsse in der Stadt
Nach der Eröffnung der Stadtautobahn 1987 verbesserte sich die Situation in der Stadt St. Gallen schlagartig, der Verkehr wurde auf die neue Achse geleitet. Die grosse Entlastungswirkung der Stadtautobahn kommt auch durch die vier Anschlüsse auf Stadtgebiet – Winkeln, Kreuzbleiche, St. Fiden und Neudorf – zustande. Diskutiert wurden sogar sechs Anschlüsse, auch gegen vier Anschlüsse regte sich noch Widerstand. Doch die vorausschauende Planung setzte sich seinerzeit durch. Die Stadtautobahn bewältigt deshalb nicht nur den Durchgangsverkehr zwischen Winterthur und St. Margrethen, sondern eben auch einen erheblichen Teil des städtischen Verkehrsaufkommens. Rund 85 Prozent der Fahrten sind innerstädtischer Ziel- und Quellverkehr.

Wachstum bringt mehr Verkehr
Kurz nach der Eröffnung der Stadtautobahn, im Jahr 1990, zählte man 45’000 Fahrzeuge täglich. Heute sind es fast 80’000 Fahrzeuge, vor der Pandemie waren es sogar noch mehr. Die Stadtautobahn hat ihre vor einem halben Jahrhundert geplante Kapazitätsgrenze erreicht.
Das ist auch nicht weiter verwunderlich, unser Land hat sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt. 1990 zählte man in der Schweiz 6,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, heute sind es über 9 Millionen. Gleichzeitig verzeichnete die Schweiz eine enorme wirtschaftliche Entwicklung, das Bruttoinlandprodukt von 1990 lag bei 369,2 Milliarden Franken, 2023 wurde mehr als das Doppelte, nämlich 803,6 Milliarden Franken, erwirtschaftet.
Um sich den Wert der Stadtautobahn vor Augen zu führen, reicht ein kleines Gedankenexperiment: Wie würde die Kantonshauptstadt wohl aussehen, wenn es die Tunnels der A1 unter der Stadt nicht gäbe? – Die Stadtautobahn ist eine St. Galler Erfolgsgeschichte. Damit sie eine bleibt, muss sie weitergeschrieben werden.

Aus: «Unser Lebensraum»